Gottesdienst am 29. März 2020, Sonntag Judika

 

  • Predigttext: Hebräer 13, 12-14
  • Sonntag/ Feiertag: Judika
  • Datum: 29. März  2020                
  • Ort:

                                                    

Ein- und Hinführung zur Predigt

Seit Anfang der Woche gilt nun aufgrund der Corona-Krise in ganz Deutschland ein Kontaktverbot, auch die letzten Einrichtungen, Läden und Restaurants sind geschlossen worden, das gesellschaftliche Leben ist völlig heruntergefahren. Auch Gottesdienste können nicht stattfinden. Eine bedrängende und beängstigende Situation. Der Predigttext aus dem Hebräerbrief malt uns den gekreuzigten Christus vor Augen, der draußen vor dem Tor seinen einsamen Tod stirbt. Ein schwer auszuhaltendes Bild. Und dennoch ein Trost.

 

Begrüßung im Gottesdienst

„Was betrübst du dich meine Seele, und bist so unruhig in mir?“ Der Psalm dieses Sonntags spricht aus unseren Herzen. Egal, wie und wo wir heute Gottesdienst feiern können, jede und jeder für sich, vor dem Bildschirm oder am Radio, am Küchentisch: Dieses Wort ist uns zugesagt und auch seine Fortsetzung: „Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“ Lass uns darauf vertrauen. Amen.

 

Psalm des Sonntages: Psalm 43, 1-5

1 Schaffe mir Recht, Gott, / und führe meine Sache wider das treulose Volk

und errette mich von den falschen und bösen Leuten!

 2 Denn du bist der Gott meiner Stärke:

Warum hast du mich verstoßen? Warum muss ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich drängt?

 3 Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten

und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung,

 4 dass ich hineingehe zum Altar Gottes, / zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist,

und dir, Gott, auf der Harfe danke, mein Gott.

 5 Was betrübst du dich, meine Seele,

und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

 

Predigt

Einmal in der Woche muss man hinein, trotz allem. Ein bisschen nach dem Rechten sehen. Viel ist nicht zu tun. Denn es brauchen keine Blumen bestellt oder neu arrangiert werden und keine Kerzen gepflegt. Es gibt keine liegengebliebenen Gesangbücher oder vergessenen Schirme wegzuräumen. Zum Staubwischen ist es noch zu früh. Manche hatten gleich nach der Schließung schon die Gelegenheit genutzt, gründlich in alle Ecken zu kommen, Frühjahrsputz, warum auch nicht. Einmal durch die leere Kirche gehen, den Mittelgang von hinten nach vorne und stehenbleiben dort, wo jeder stehenbleibt, vor ihm.

Die Stille „braust“ in den Ohren, das helle Märzlicht fällt durch die Fenster. Vor ihm stehen, die vertraute Gestalt sehen, seinen Körper, die schmerzhaft weit geöffneten Arme, die Wunden und das Blut. In seinem Gesicht spiegelt sich wie in einem Kaleidoskop das Leid in all seinen Gestalten. Jetzt gerade auszuhaltendes, fast schon durchgestandenes, endgültig überwundenes Leid. Gequält, verkrampft, geduldig, erlöst oder verklärt sein Gesicht. Die Gestalten des Leides sind unterschiedlich dargestellt in jeder Kirche. Aber überall, selbst dort, wo es kein Figur eines Gekreuzigten gibt, das Gefühl:  enn ich jetzt gehe, die Tür hinter mir zuziehe und sie abschließe, dann lasse ich ihn allein. Und niemand wird kommen, um bei ihm zu sein.

Die Kirchen müssen verschlossen bleiben in diesen Tagen, Gottesdienste können nicht stattfinden, auch wenn das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Trost so groß ist wie lange nicht. „Social distancing“, soziale Distanzierung ist das Gebot der Stunde und wird in der Gestalt des Kontaktverbots für jede und jeden von uns erfahrbar. Nicht zwei oder drei, sondern nur noch zwei dürfen versammelt sein, wenn man bei zweien überhaupt noch von einer Versammlung reden kann.

Pfarrerinnen und Pfarrer erleben auch sonst einmal, dass die Kirchen leer sind oder jedenfalls leerer, als sie es sich wünschen würden. Aber sie nun auf unbestimmte Zeit ganz leer zu wissen, auch in der Karwoche und zu Ostern, ist ein besonderer und so noch nicht gekannter Schmerz. Wir teilen ihn mit denen, denen der Gottesdienstbesuch ein Bedürfnis ist. Wir teilen ihn aber auch mit all denen, für die der Besuch einer Kirche oder eines Gottesdienstes gerade jetzt ein Bedürfnis wäre.

In den meisten Kirchen findet sich die Gestalt des Gekreuzigten, mittelalterlich oder modern, sehr konkret oder abstrakt. Wir lassen ihn allein in diesen Wochen. Wir dürfen ihn nicht besuchen, uns nicht in den Bänken oder noch näher bei ihm zum Abendmahl versammeln. Er ist drinnen, allein. Wir müssen draußen bleiben.

„Was gibt es denn bloß für einen Trost in diesen Tagen?“, fragt mich die Dame am Telephon – telephonieren ist fast die einzige Möglichkeit, Kontakt miteinander zu halten. Eine Antwort auf diese Frage zu finden, ist schwer. Ich finde Trost in den Worten aus dem Hebräerbrief …

in den Worten des für den heutigen Sonntag vorgeschlagenen Predigttext aus dem Brief an die Hebräer:

 

Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

 

Jesus hat draußen vor dem Tor gelitten. Der Ort seiner Hinrichtung befand sich, wie üblich, außerhalb der Mauern der Stadt Jerusalem. Aus der Geschichte seines Leidens und Sterbens kennen wir den Weg, den er mit dem Kreuz zurückgelegt hat, die Vorgänge, die sich bei der Kreuzigung abgespielt haben, das Handwerk einer Hinrichtung nach römischen Recht. Und wir wissen, dass nur wenige seiner Jüngerinnen und Jünger ihn auf diesem letzten Weg begleitet haben. Viele sind gar nicht erst herausgekommen aus der Stadt. Von einigen wird in den Evangelien erzählt, dass sie nahe bei Jesus, unter dem Kreuz stehen. Die meisten bleiben aber in einigem Abstand. „Von ferne sahen sie zu“, heißt es übereinstimmend, so als hielten sie weit mehr als die eineinhalb Meter Sicherheitsabstand ein, die uns in diesen Zeiten auferlegt sind. Und irgendwann kam der Zeitpunkt, als auch noch die letzten gehen mussten, als selbst die römischen Soldaten ihren Feierabend machen konnten und den toten Jesus am Kreuz zurückließen.

 

Was für ein Trost kann aus diesem einsamen Tod kommen? Manche, vor allem Theologen, sagen ja sowieso schon, man sollte diese ganze Sache mit der Kreuzigung nicht immer so in den Mittelpunkt stellen, es sei doch einfach eine schreckliche Geschichte, verstörend und wenig einladend zum christlichen Glauben.

In den Zeiten einer Krise, wie wir sie gerade erleben, tritt hervor, welche Kraft in dem Bild des verlassenen Gekreuzigten steckt. Und dass es kein Zufall, keine selbstquälerische Ideologie oder eine spezielle Form von Masochismus ist, die uns dazu bringt, gerade dieses Bild in unterschiedlicher Gestalt in fast all unseren Kirchen präsent zu haben.

Denn Jesus kann das, was so schwer ist. Er hat Angst und Verlassenheit ausgehalten, er stirbt draußen vor dem Tor, verlassen von Menschen, verlassen von Gott. Alles, was wir in diesen Tagen an Angst und Verlassenheit erleben, kennt er. In seinem Gesicht, gequält, verkrampft, geduldig erkennen wir uns wieder wie in einem Spiegel, vielleicht mehr als jemals zuvor.

 

Hinausgehen zu Jesus vor das Lager, seine Schmach tragen – in eine Kirche zu gehen, sich dort dem Anblick des Gekreuzigten aussetzen, das ist zur Zeit nicht möglich. Nur die Pfarrer oder Pfarrerin oder der Küster, die Frau, die sich auch sonst immer um die Kirche kümmert, können es noch. Sie sehen einmal in der Woche nach dem Rechten. Und wir sind Jesus trotzdem nah, wir teilen mit ihm das Gefühl der Angst und Verlassenheit, die Erfahrung, dass gerade niemand helfen kann und wir allein hindurch müssen.

Jesus ist da. Er ist allein in unseren leeren Kirchen, so allein, wie er allein gewesen ist auf Golgatha. Damit wir jemanden haben, an den wir uns halten können. Einen, der weiß, wie es uns geht.                                                               

 

Amen.

 

Fürbittengebet

Grenzenlos die Liebe.

Bedrückend die Angst.

Gott –

Quelle der Liebe.

Verteidigung in der Angst.

Du bist da.

 

Deine grenzenlose Liebe, Gott,

für die Infizierten,

die Kranken,

die Sterbenden.

   Wir denken an die, die uns nahestehen.

 

   Stille

 

Quelle der Liebe.

Verteidigung in der Angst.

Du bist da.

   Wir denken an die Betroffenen in Italien, in Spanien,

   in aller Welt.

 

   Stille

 

Quelle der Liebe.

Verteidigung in der Angst.

Du bist da.

 

Deine grenzenlose Liebe, Gott,

für die, die kein schützendes Obdach haben,

für die, die zwischen den Grenzzäunen gefangen sind,

für die, die zwischen Trümmern ausharren.

   Wir denken an die Obdachlosen in unseren Städten.

 

   Stille

Quelle der Liebe.

Verteidigung in der Angst.

Du bist da.

   Wir denken an die Flüchtlinge auf Lesbos,

   an die in Transiträumen Gestrandeten,

   an die Menschen in Syrien.

 

   Stille

 

Quelle der Liebe.

Verteidigung in der Angst.

Du bist da.

 

Deine grenzenlose Liebe, Gott

für alle, die pflegen,

für alle, die sich in Gefahr begeben,

für alle, die forschen und sich nicht schonen.

   Wir denken an alle, die in den Krankenhäuern für die Kranken da sind.

   Wir denken an alle, die uns mit Lebensmitteln und allem, was wir brauchen,

   versorgen.

 

   Stille

 

Quelle der Liebe.

Verteidigung in der Angst.

Du bist da.

   Wir denken an die politisch Verantwortlichen.

   Wir denken an die Wissenschaftlerinnen und Forscher in den Laboren.

 

   Stille

 

Quelle der Liebe.

Verteidigung in der Angst.

Du bist da.

 

Deine grenzenlos Liebe, Gott -

wir brauchen sie,

alle, die eingeschlossen sind und in Quarantäne ausharren brauchen sie,

die von häuslicher Gewalt Bedrohten brauchen sie.

die Alleingelassenen brauchen sie,

die Verzweifelten brauchen sie.

Deine grenzenlose Liebe, Gott –

sie hält uns,

sie trägt uns.

Quelle der Liebe.

Verteidigung in der Angst.

Du bist da.

Bleib bei uns und deiner Gemeinde –

heute und jeden neuen Tag.

Amen.

 

Alles das, was uns bewegt, fassen wir in das Gebet, dass Jesus uns gegeben hat:

 

Vaterunser

Vater unser im Himmel. 

Geheiligt werde Dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute.                       

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. 

Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Amen.

 

Geht Euren Weg mit dem Segen Gottes

 

Segen

Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.

 

Es grüßt Sie/ Euch

Pfarrer i. R. Johannes Rieper, Varel

Tel.: 04451-96 01 70

Mail: pfarrerrieper11@t-online.de