Predigttext: Meditation über Emil Nolde „Abendmahl“  

Datum: 09. April 2020

Sonntag/ Feiertag: Gründonnerstag

Ort: Internet  

 

                                  

 

Abendmahl

(Meditationsbild von Emil Nolde)

 

Friede sei mit Euch.

 

Das Bild „Abendmahl“ von Emil Nolde (geb. 1867, gest. 1956) entstand im Jahr 1909. Es ist mit Ölfarben auf Leinwand gemalt, 86 x 107 cm groß und befindet  sich im staatlichen Kunstmuseum in Kopenhagen.

 

Auf den ersten Blick gefällt Einem dieses Bild nicht unbedingt.

 

Mir ist es jedenfalls so gegangen.                                   

Es hat etwas Ungewöhnliches und Befremdliches an sich, vor allem was die grellgelben, grünlichen Gesichter betrifft.                                  

Keine schönen Gesichter,                             

eher kantig und grobschlächtig.

 

Als erstes fällt mir Jesus ins Auge

Jesus -                                    

mit roten Haaren,                                                               

mit seinem hellen,                                                         

mit seinem nach innen gekehrten Gesicht,                   

mit seinem hellroten Gewandt                                           

mit dem weißen Unterkleid –                                         

dem einzigen Weiß auf dem Bild.

 

Um ihn herum dicht an dicht, Gesicht an Gesicht die Apostel.

 

Im ersten Band seiner Lebenserinnerungen „Jahre der Kämpfe“ erzählt Nolde, wie es zum Bild „Abendmahl“ kam:

 

„Mit dünnen Bleistiftstrichen zeichnete ich hart und spitz dreizehn Menschen auf ein Leinen hin, den Heiland und seine zwölf Apostel, um einen Tisch sitzend in der lauen Frühlingsnacht, in der Nacht bevor das große Leiden Christi kam. Es waren die Stunden, während denen Christus sich in seinen großen Erlösergedanken den geliebten Jüngern offenbarte.

Einem unwiderstehlichen Verlangen nach Darstellung von tiefer Geistigkeit, Religion und Innigkeit war ich gefolgt, doch ohne viel Wollen und Wissen und Überlegung. – Fast erschrocken stand ich vor dem aufgezeichneten Entwurf…                                     

Und nun sollte ich malen das geheimnisvollste, tiefinnerlichste Geschehen der christlichen Religion! – Ich malte und malte, kaum wissend, ob es Tag oder Nacht sei, ob ich Mensch oder nur Maler war. Falls ich am Bibelbuchstaben oder am Dogma gebunden gewesen wäre, ich habe den Glauben, daß ich dann dieses tiefsinnige Bild „Abendmahl“ nicht hätte so stark malen können. Ich mußte künstlerisch frei sein, spürte Gott in mir, heiß und heilig wie die Liebe Christi. “

 

Emil Nolde malte dieses Bild auf Ruttebüll, einem Gehöft in Westschleswig.                                        

Die Menschen, die bei Nolde um den Tisch versammelt sind, das sind Menschen wie sie der Maler damals auf der Insel Alsen oder in der Umgebung von Ruttebüll treffen konnte.                        

Sie haben die harten, kantigen, vom Schicksal gegerbten Gesichter von Fischern und Bauern,…  

von Männern, die ein Leben lang Wind und Wetter ausgesetzt waren.

 

Dicht drängen sich die Apostel um einen grünen Tisch.

 

Manche sind halbfigürlich dargestellt,                         

von anderen sieht man nur die Gesichter, die aber zum Teil auch nur verschwommen zu erkennen sind.                                                               

Die Apostel füllen den gesamten Bildrahmen aus.

 

In der Mitte des Bildes – hinter dem Tisch sitzend – ist Jesus zu sehen.                                                 

Er ist die einzige Person, die frontal dargestellt ist.                                                                            

Sein Gesicht strahlt gelb und ist leicht nach oben gewandt, die Augen sind geschlossen.                                        

Mit den Händen, die auf dem Tisch ruhen, hält er einen Kelch fest.

Um Jesus herum scharen sich die zwölf Apostel. Ihre Gesichtszüge wirken zumeist angespannt, ernst, eher verschlossen als offen.                                       

Die Gesichter sind in einem Gelbgrün, das sich zunehmend aufhellt, je näher die Jünger bei Jesus sind.

 

Von der Bildaufteilung her befindet sich der Großteil der Gruppe – einschließlich Jesus – in der oberen Bildhälfte, sozusagen hinten im Bild.

 

Im vorderen Bildbereich sind nur drei Apostel zu sehen.

 

Einer davon, der zweite von rechts im schwarzen Überwurf, wendet dem Betrachter den Rücken zu.

Von seinem Gesicht ist nur Nase und Mund sichtbar,                                                   

der Rest wird vom mächtigen Haarschopf verdeckt.

 

Die Drei lassen eine Lücke zwischen sich.                          

So wird der direkte Blick auf Jesus ermöglicht.

Trotz der Lücke wird der Kreis nicht unterbrochen, …                                                              

weil die vorderen Apostel durch bestimmte Handhaltungen miteinander verbunden sind und auf diese Weise die räumliche Distanz überwinden.

 

Der Apostel am linken vorderen Bildrand wendet sich nach rechts in Richtung der Zweiergruppe und reicht ihnen seinen Arm entgegen.

 

Der in Rückansicht gezeigte Apostel umschließt und hält diese zu ihm ausgestreckte Hand mit seiner linken Hand.                                                        

Gleichzeitig wird ihm von seinem Gefährten rechts, der ein rotes Gewandt trägt, die linke Hand auf die Schulter gelegt.

 

Links in der oberen Ecke, leicht zu übersehen, ist gerade noch der Ausschnitt eines Gesichtes zu erkennen, das sich als einziges von der Mahlszene abzuwenden scheint.                                 

Handelt es sich um Judas?

 

Nur ein Auge ist zu sehen, darüber eine Braue,der Ansatz von Nase, Stirn und Wange.  

Mehr ist vom Verräter Christi nicht dargestellt.

 

Nolde malt Jesus mit geschlossenen Augen.                    

Es ist als ob er schon nicht mehr real da wäre, sondern schon unterwegs auf dem Weg durch Leiden, Sterben und Auferstehen.                            

Dieser Christus wirkt wie entrückt, vergeistigt, verklärt, schon fast im Jenseits?

Wie in einer Vision sind die Augen geschlossen, schauen nach innen, nach vorne, in die Zukunft, in die Ewigkeit?

 

Dieser Christus leuchtet von innen heraus und wirkt so, als sei er schon selbst zum Licht geworden.

 

Jesu Hände ergreifen und umfassen fest den Kelch.

 

Aus den Evangelien wissen wir, daß er darüber ein Dank- und Segensgebet sprach und dann den Jüngern weiterreichte mit den Worten:                     

„Nehmt und trinkt alle daraus!                                     

Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird, zur Vergebung der Sünden.

 

Der Wein ist in der Bibel ein uraltes, ausdruckstarkes Symbol:                                               

eine Gabe Gottes,                                                      

ein Lebensmittel,                                                        

ein Ausdruck der Freude und des Miteinanders,

ein Symbol für die Liebe Gottes zu uns Menschen.

 

sind wir eingeladen – wie die Jünger –  wir sind  eingeladen, den Kelch …                            

den Becher mit dem Traubensaft …                                  

ihn in unsere Hand zu nehmen,                                               

ihn zum Mund zu führen,                             

ihn, den Traubensaft auf der Zunge zu spüren,                       

ihn zu schmecken und zu trinken.

 

Die Abendmahlsgemeinschaft – auch heute – versammelt alle um einen Tisch.                                    

Alle essen sozusagen von dem einen Brot,                    

Alle trinken sozusagen aus dem einen Kelch. Es geht dabei auch um die Verbundenheit miteinander, es geht dabei um Versöhnung und Frieden.

 

Emil Nolde hat diese Nähe und Gemeinschaft auf dem Bild versucht zu vermitteln:                            

 

Die Jünger stehen ganz dicht gedrängt abgesehen von der Lücke vorne,                                    

die Jünger stehen dicht um den Tisch:                         

Körper an Körper,                                                          

fast Gesicht an Gesicht.

 

Viel Zuwendung ist vor allem bei den drei Jüngern vorne ins Bild gebracht,                                 

dort, wo der Eine ganz rechts im roten Gewand                                                             

sich seinem Nachbarn zudreht,                                      

sich fast an ihn herandrängt und ihm den Arm um den Rücken und auf die Schulter legt.

 

Welch eine Geste!!

                                               

Er läßt den Nachbarn spüren:                                         

Ich bin da.                                                                        

Du bist nicht allein, egal wie es dir geht.                                    

Ich bin bei dir.                                                                 

Ich steh dir zur Seite.

 

Auch der Jünger im grün-blau-dunklen Gewand (links) greift – wie wir schon gesehen haben –              

er greift mit seinem langem, …   

mit seinem fast überlangem Arm nach dem gleichen Jünger,                                                               

greift nach dessen linker Hand und läßt sich selbst von dieser Hand umschließen,                                 

verbindet sich somit mit seinem Nachbarn und überbrückt die Lücke, -                                      

und überwindet die Distanz.

 

Noldes Bild fragt mich:                                         

 

Wo bleibt mein Arm, meine Hand?

Wie kann ich Lücken, Distanzierungen und Gräben überwinden?

Wo braucht jemand Trost, Ermutigung, ein Zeichen der Hoffnung?

Wo ist vielleicht auch eine Geste des Friedens und der Versöhnung angesagt, notwendig, … Not wendend?

 

Auch bei unser Feier des Abendmahles lade ich dazu ein:                                                             

„Gebt einander ein Zeichen und ein Wort des Friedens und der Versöhnung!“

 

Zum Schluß:

Wenn ich dieses Bild von Emil Nolde so betrachte                                                                        

und es auch mit meinem inneren Auge,                        

und es auch mit dem Herzen in mich aufnehme,                   

dann werde ich immer dankbarer:                                                

 

Im Abendmahl gibt es                                                

nicht nur etwas Verbales,                                           

nicht nur Worte,

Worte, die wir hören,                                           

die wir aufnehmen und zu Herzen nehmen sollen.                                                

 

Es gibt nicht nur etwas zu verstehen                           

für den Kopf,                                                          

für das Gehirn,                                                                

für den Verstand.                           

 

Nein, hier gibt es eine ganz praktische Hilfe zum Glauben, …  

eine Hilfe,                                                              

körperlich,                                                          

leibhaftig,                                                               

spürbar,                                                             

sichtbar,                                                               

greifbar,                                                                       

zum In-mich-Aufnehmen,                                             

zum Internalisieren,                                                      

zum davon Durchdrungenwerden,                                            

zum Erfülltwerden.                 

 

Ja, wir nehmen Christus selbst in uns auf.                           

Er gibt sich uns im „Brot des Lebens“ und im „Kelch des Segens“.                                                         

„Du in mir – und ich in dir.“

 

Mit dem Apostel Paulus können wir sagen:

„Nun lebe nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir.“

Und so wahr und wirklich wie ich Brot und Wein schmecke und in mich aufnehme,                                              

genauso gewiß schenkt Gott mir im Zeichen des Heils …                                                                        

schenkt er mir sein Erbarmen und seine verzeihende Liebe.

 

Gabe wird zu Aufgabe,                                         

Sammlung zur Sendung:

 

Der Herr                                                                       

beauftragt mich,                                                             

ermutigt mich,                                                          

befähigt mich, 

 

die Hand                                                             

nach dem Nachbarn,                                                  

nach dem Bruder,                                                       

nach der Schwester,                                                      

nach dem Hilfsbedürftigen und dem Notleidenden                                      

auszustrecken                                                           

 

und Lücken zu überwinden:                                    

zur Versöhnung,                                                         

zum Zusammenhalt                                                      

zu wirklicher Gemeinschaft.

Amen.