Sonntag Rogate

Predigttext: Matthäus 6, 5-15 Datum: 17. Mai 2020

Gottesdienst: Sonntag Rogate

Darstellung des Themas

Corona bestimmt weiter die Schlagzeilen und das Leben. Die Debatte polarisiert sich oder anders formuliert: Die Positionen werden extremer, jeweils ohne erkennbares Interesse an einer Verständigung. Wer von der Linie abweicht, wird automatisch als Verschwörungstheoretiker bezeichnet, und das mit einer Hysterie und Verve, die es so zuletzt vielleicht in den 50-ern gegeben hat in der McCarthy Ära und der dazugehörigen Kommunistenhatz. Mitten in diesem sich verschärfenden Klima von Abrechnungen,

Verteufelungen und Diffamierungen hat Bundesgesundheitsminister Spahn letzten Dienstag einen anderen Weg beschritten und etwas im Politikbetrieb Seltenes getan: Er hat einen Fehler zugegeben, eine Falscheinschätzung zu Beginn der Epidemie, was die Beschaffung von Masken angeht. Ganz auf dieser Linie hatte er zuvor schon gesagt: „Wir werden in ein paar Monaten

wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen.“ (Während der Regierungsbefragung am 22.April 2020 zu politischen Entscheidungen in der Corona-Krise.)

Vergebung ist ein zentrales christliches Thema. Es ist eine Bitte des Vaterunsers, das im Bibeltext für Rogate zu finden ist. Dort wird diese Bitte als Einzige nochmals doppelt unterstrichen nach dem Amen: Weil mit Gott und miteinander in Kontakt zu bleiben, lebensnotwendig ist.

Einführung

„Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.“ Mit diesem Wochenspruch aus dem 66. Psalm begrüße ich Sie herzlich in diesem Gottesdienst. Es ist der 5. Sonntag nach Ostern und der zweite nach dem Shutdown, so verändern sich Zählungen. Der zweite Sonntag nach dem Shutdown hat das Motto: „Bleib gesund“, der 5. nach Ostern das Motto „Rogate“, zu Deutsch: Bittet und betet! Das tun wir heute in der Gewissheit, dass alles in Gottes offenem Ohr landet, was wir vor ihn bringen: unser Lob, unsere Klage, unsere Wünsche und Hoffnungen und unsere Ängste.

                                                                                             1

Predigt

Liebe Gemeinde!

Eine Frau bittet ihren Mann, einen Virologen: „Schatz, wir haben kein Brot mehr, könntest du eines einkaufen gehen?“ – „Klar!“ – „Und wenn sie Eier haben, bring 6 Stück mit.“ Wenig später kommt der Virologe mit 6 Broten zurück nach Hause. Seine Frau fragt ihn, warum er 6 Brote gekauft habe.

Seine Antwort: „Sie hatten Eier.“

Wer hat Schuld, dass das so schief lief? Die Frau, deren Anweisung nicht präzise genug war, oder die des Mannes, der vor lauter Zahlen und Details den größeren Zusammenhang aus den Augen verlor? Alles wird immer kleinteiliger, immer spezialisierter. Und damit auch immer extremer und zunehmend giftiger. Der Virologe Christian Drosten wirft den Medien eine „Zersplitterung der öffentlichen Meinung“ vor und beschwert sich über Ärzte und Professoren, „die irgendeinen Quatsch in die Welt setzen“, ohne je zu den Themen gearbeitet zu haben. Nun wird man weder Arzt noch Professorin per Losentscheid, statt einer pauschalen Diffamierung hätte ich mir also schon gewünscht, dass er Ross und Reiter nennt – und nicht dem brandgefährlichen Trend folgt, alle mit abweichender Meinung pauschal als dumm und/oder Verschwörungstheoretiker zu bezeichnen.

Die folgenden Punkte sind keine Verschwörungstheorien: für das Grundgesetz einsetzen, Politik kritisieren, eine eigene Meinung bilden möglichst auf Faktenbasis, Freiheiten verteidigen und verschiedene Quellen checken. Dennoch: Wer das gerade tut, sieht sich dem Pauschalvorwurf ausgesetzt, „es immer noch nicht verstanden zu haben“ und „dass das Virus das alles nicht juckt“. Die Debatte fällt aus, z.B. auch über das Papier aus dem Bundesinnenministerium, das ein Mitarbeiter dort auf eigene Faust und ohne Auftrag auf öffentlichen Briefbögen verfasst hat. Die Debatte fällt aus, und das führt zu gefährlichen Lagerbildungen und Spaltungen der Gesellschaft. In einem Gedicht von Jehuda Amichai heißt es: An dem Ort, an dem wir recht haben, werden niemals Blumen wachsen im Frühjahr. Der Ort, an dem wir recht haben, ist zertrampelt und hart wie ein Hof.“ Dieses Bild finde ich eben so poetisch wie passend.

Einer der Hauptakteure der Corona-Krise, Jens Spahn, hat jetzt innerhalb kurzer Zeit gleich zwei Mal einen anderen Weg beschritten. Er hat etwas für Politiker Spektakuläres getan: Einen Fehler zugegeben. Das tun Politiker sonst normalerweise nur im Rahmen ihrer Rücktrittspressekonferenz. Noch im April hat er einen ebenso bemerkenswerten Satz gesagt: „Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen.“ Verzeihen, vergeben, das ist ein zentrales christliches Thema. Auch in dem Bibeltext, der für den heutigen Sonntag als Predigttext vorgeschlagen ist, ich lese aus dem Matthäusevangelium im 15. Kapitel:

Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den

Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, um sich vor den

Leuten zu zeigen. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten. Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.] Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

Warum eigentlich beten? Was tun wir, wenn wir beten? Es scheint Zeiten gegeben zu haben, als das manche machten, um gesehen zu werden, um als besonders fromm dazustehen. Diese Motivation gibt es vielleicht in anderen Bereichen immer noch, aber öffentlich beten ist doch eher selten geworden. Beten, so der gesellschaftliche Konsens, ist etwas Intimes, höchst Privates, und wenn das jemand an Orten tut, die nicht dafür vorgesehen sind, wird es peinlich. Ob das gut ist oder schlecht, will ich an dieser Stelle gar nicht beurteilen. Wenn der Evangelist Matthäus also empfiehlt, in geschützten

Räumen bei verschlossener Tür zu beten, dann haben wir das schon mal ganz

3

gut verinnerlicht.

Bleibt der zweite Punkt auf der Not-To-Do-Liste: Bitte nicht plappern nach dem Motto: Viel hilft viel. Gott zu belabern ist keine zielführende Strategie.  Gott weiß, worum es geht, bevor wir es aussprechen Beten ist keine Informationsveranstaltung, keine Sammlung von Hinweisen an Gott, die er vorher übersehen hat.

Bei all dem, was beten nicht ist und wie man es nicht machen soll: Warum eigentlich beten? Gott will unser Bestes. Und das nicht als anonyme Servicestation, die das Benötigte zur richtigen Zeit liefert, sondern als unser

Vater. Er will mit seinen Kindern in Kontakt bleiben – und das tut seinen Kindern gut. Ich habe schon oft gehört, dass es Menschen nach dem Beten besser geht: weil sie etwas losgeworden sind, weil ihnen etwas klar wurde, weil sie sich gehört fühlten. Mir hat noch nie jemand gesagt: Ich habe gebetet und danach ging es mir (noch) schlechter. Es gibt viele Möglichkeiten, mit Gott, dem Vater, in Kontakt zu bleiben. Beten ist eine herrlich unkomplizierte. Nicht zuletzt deswegen, weil wir uns beim Beten nicht an eine ferne Gottheit wenden, sondern an unseren Vater im Himmel. Stellen Sie sich vor, es hieße nicht „Vater“, sondern „Gott“: „Gott im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“ Das könnte zu Missverständnissen führen. Geheiligt: Stör mich nicht, fass mich nicht an! Dein Wille geschehe: Welches Unglück auch immer du über mir auskübelst, du wirst dir was dabei gedacht haben, und dann ordne ich meinen Willen deinem besser unter.

So ist es natürlich nicht gemeint, und weil es im Gebet „Vater“ heißt und nicht

„Gott“, ist das „geheiligt“ ein freundliches Zulächeln, hinter dem sich große

Gefühle verbergen, und das „dein Wille geschehe“ ist dann keine

Durchhalteparole, sondern tatsächlich das Beste, was uns so passieren kann, denn das ist es, was Gott für uns will: das Beste. Er gibt uns, was wir zum guten Leben brauchen: das tägliche Brot und er nimmt unsere Schuld von uns.

Der letzte Punkt schien dem Evangelisten Matthäus besonders wichtig, er unterstreicht ausgerechnet diesen Halbsatz aus dem Vaterunser doppelt: „Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“ Ohne Vergebung kein Zusammenleben. Ohne Vergebung kein Frieden. Im Kleinen leuchtet das wahrscheinlich noch vielen ein – wir machen alle mal Fehler und niemand lebt wirklich gerne in einer Welt gnaden- und pausenloser Abrechnung und ewiger Strafe. Im Kleinen: klar. Vergeude nicht deine Lebenszeit mit unnötigem Streit. Man wundert sich ja gelegentlich, worüber Menschen sich unversöhnlich in die Haare kriegen. Und weiß, dass es bei einem selber auch so wunde Punkte und Kleinkriege gibt, über die andere nur den Kopf schütteln. Aber selbst bei den unverzeihlichen Dingen kommt es immer wieder zu echter Vergebung: Es gibt Mütter, die haben den Mördern ihrer Kinder vergeben, natürlich nach einem langen, harten Weg und vielen Begegnungen. Für mich ist das unvorstellbar und nicht weniger als ein Wunder, aber ich sehe: Selbst das ist möglich.

Ohne Vergebung kein Zusammenleben. Welchen Weg auch immer die

Corona-Krise noch nehmen wird, irgendetwas zwischen monströser zweiter

Welle, die uns alle vernichtet und gigantischem Fehlalarm mit hohen Kollateralschäden: Wir werden einander viel verzeihen müssen. Das lohnt sich. Amen.

Gebet / Fürbitten

Ewiger Gott, der du alles Leben schaffst und erhältst,

wir bitten dich für alle, die an deiner Seite für das Leben kämpfen und gegen

den Tod: in der Medizin, in der Pflege, in der Versorgung mit dem Lebensnotwendigen.

Wir bitten dich für diejenigen, zu denen auch Jesus ging: die Einsamen, die Verachteten, die Traurigen, die Ängstlichen.

Schenke uns Kraft und Gelassenheit zu ertragen, was nicht zu ändern ist, und Mut und starken Willen anzupacken, was besser geht – und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Amen.

Vaterunser

Vater unser im Himmel.                                                                                      

Geheiligt werde Dein Name.                                                                                       Dein Reich komme.                                                                                                      Dein Wille geschehe,                                                                                                    wie im Himmel, so auf Erden.                                                                                    Unser tägliches Brot gib uns heute.                                                                           

Und vergib uns unsere Schuld,                                                                                  

5

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.                                                            Und führe uns nicht in Versuchung,                                                                          sondern erlöse uns von dem Bösen.                                                                           Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.          

Amen.

Segen

Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.

Es grüßt Sie/ Euch

Pfarrer i. R. Johannes Rieper, Varel

Tel.: 04451-96 01 70

Mail: pfarrerrieper11@t-online.de

Bleiben Sie/ bleibt behütet und bewahrt.